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[Mittelalterrock] Reliquiae - Paranoia (2025) - Tommy2Rock - 20.06.2025 ![]() Release: 20. Juni 2025 Label: Metalville Tracklist: 01. Paranoia 02. Korinth 03. Himmelsstern 04. Immermorgenland 05. Schwarzes Kleid 06. Mephistoteles 07. Chronos 08. Leere & Chaos 09. Vanitas Vanitatum 10. 10000 Jahre 11. Frei 12. Wir sind das Ende Reliquiae melden sich nach 6 Jahren mit einem neuen Studioalbum zurück! Paranoia ist das bisher härteste und metallastigste Werk der Band – eine konsequente Weiterentwicklung nach »Babylon« (2019) und dem klassisch geprägten Intermezzo »gestrichen« (2022). Drums und Gitarren treiben nach vorne und das Tempo hat merklich angezogen, ohne den unverkennbaren, cleanen Gesang von Bastus aus dem Mittelpunkt zu verdrängen. Gemeinsam mit Dudelsack, Nyckelharpa, Drehleier und Geige entstehen vielschichtige Melodien, die dennoch ihr Ohrwurmpotenzial beibehalten. So entstehen nicht nur Kopfnicker und tanzbare Parts, sondern auch nachdenkliche, düsterere Momente. (Quelle: Reliquiae) Homepage Shop Amazon Youtube Reliquiae sind: Bastus: Gesang Svea: Geige, Drehleier & Nyckelharpa Coluber: Dudelsäcke & Schalmeien Comatus: Keyboard Morti: E-Bass Breacán: E-Gitarren Lasko: Schlagzeug 15 Jahre Reliquiae müssen gefeiert werden und was würde sich dafür besser anbieten als ein neues Studioalbum? Nach "Babylon" gab es zwar noch die "gestrichen" EP, die ebenfalls sehr hörenswert ist, wirklich neues Material gab es aber sechs Jahre lang nicht. Nun melden sich Reliquiae mit dem neuen Album "Paranoia" zurück, das in Form eines edlen Mediabooks erscheinen wird. Das 20-seitige Booklet ist passend zum Titel düster gestaltet und die handgeschriebenen Lyrics könnten so auch an den Wänden einer psychiatrischen Anstalt zu finden sein. Zum ersten Mal gibt es auch eine limitierte Fanbox, die zum Teil einzigartige Inhalte bietet, wie ein Stück Seil aus dem Video zur ersten Single "Frei" und ein von Svea handgefertigter Linoldruck. Das Wichtigste sind natürlich die neuen Lieder und ob diese überzeugen können, dass erfahrt ihr jetzt. Den Anfang macht das Titellied "Paranoia", das mit einem treibenden Rhythmus das Gefühl vermittelt, gehetzt zu werden. Während der Gesang in den Strophen relativ ruhig von Schlagzeug, Bass und Drehleier begleitet wird, gibt es immer wieder harte Parts, die einen starken Kontrast zum Gesang bilden. Im Chorus verbinden sich dann alle Instrumente zu einem wahren Brett, bei dem man das Headbangen nicht unterdrücken kann. Die im Text besungenen Dämonen bewachen und beurteilen den Protagonisten, der diesen inneren Stimmen hilflos ausgeliefert ist. Weiter geht es mit "Korinth", das auf Goethes "Die Braut von Korinth" basiert. Es geht um Liebe, Lust und die tödliche Gefahr durch das übernatürliche Wesen. "Korinth" überzeugt weniger durch Härte, dafür mit einer wirklich sehr eingängigen Melodie, bei der vor allem Svea an der Geige positiv auffällt. Den Chorus bekommt man so schnell nicht mehr aus dem Kopf und die Fanchöre bei Konzerten werden dem Lied noch viel mehr Energie verleihen. Mit einer bezaubernden Drehleiermelodie beginnt "Himmelsstern". Die Geschichte einer Sängerin mit wunderschöner Stimme, die ihre Freiheit liebt, und eines von Liebe besessenen Verehrers wird fesselnd erzählt. Durch musikalische Stilelemente wird hervorgehoben, wie sehr sich die beiden Charaktere unterscheiden. Wenn es um die Sängerin geht, ist die Melodie ruhig und wirkt durch die Drehleier schön sanft. Sobald es um ihren Verehrer geht, kommt die E-Gitarre ins Spiel und Bastus Gesang vermittelt etwas Bedrohliches. Dadurch wird deutlich, dass es nicht nur um Liebe, sondern auch um Besitz geht, der die Freiheit der Sängerin beenden würde. Für ihn entwickelt sich dadurch eine Sehnsucht, die Schmerzen verursacht und der er sich hilflos hingibt. Reliquiae erweisen sich hier mal wieder als großartige Geschichtenerzähler, die mit Text und Musik eine grandiose Atmosphäre entstehen lassen. "Immermorgenland" startet temporeich mit Svea an der Geige. Auch in diesem Lied gibt es zwei Klangwelten, die aufeinander prallen. Die schnelle, melodische Welt, in der Versprechen gemacht werden und härtere Klänge, die durchblicken lassen, dass sich dahinter nichts Gutes verbirgt und hinter dem Licht nur noch mehr Schatten warten. Mit "Schwarzes Kleid" folgt das kürzeste Lied des Albums und nichtsdestotrotz steht es den anderen Liedern in nichts nach. Erneut beweisen Reliquiae, wie gut sie mit Wörtern umgehen können und trotz des düsteren Themas ist "Schwarzes Kleid" eine tanzbare Nummer, die melodisch im Chorus auftrumpft. Die richtige Gelegenheit, sein eigenes schwarzes Kleid für ein paar Minuten abzulegen und sich im Klang der Musik fallenzulassen. "Mephistoteles" führt uns noch einmal an Goethes Werke heran, denn hier haben sich Reliquiae von Goethes "Faust" inspirieren lassen. Auch wenn das Angebot des Teufels gut erscheint, man lässt wohl lieber die Finger davon. Teuflisch gut sind dafür die harten Gitarrenriffs, die dem Sound und der Geschichte ordentlich Biss geben. Wie hervorragend Simon Michael als Produzent gearbeitet hat, hört man bei "Chronos" sehr gut. Die Abmischung, die jedes kleine Detail richtig in Szene setzt, ist wirklich beeindruckend. Was Svea und Morti aus ihren Instrumenten herausholen, ist ebenfalls grandios und das Gitarrensolo dürfte gern länger sein. Während man die harten Klängen von "Chronos" noch nachbeben spürt, wird man von "Leere & Chaos" in eine völlig andere Klangwelt entführt. Mit Geigen- und Pianoklängen bekommt man die Atempause, die man nach der Achterbahnfahrt der ersten sieben Liedern dringend braucht. Nicht nur durch die wunderschöne Melodie ziehen Reliquiae die HörerInnen mühelos in ihren Bann. Bastus Gesang bringt die Gefühle, die in "Leere & Chaos" beschrieben werden, unglaublich emotional und authentisch rüber. Durch den Kontrast zu den anderen Liedern sticht "Leere & Chaos" besonders hervor und verursacht nicht nur einmal eine Gänsehaut beim Anhören. ![]() ©Reliquiae Ihre Liebe zur klassischen Literatur zeigen Reliquiae auch in "Vanitas Vanitatum". Der Titel entstammt der Ode des deutschen Barock-Dichters Andreas Gryphius aus dem Jahr 1643. Es geht um Eitelkeit und den Wunsch, den Schein zu wahren, dass Geld und Erfolg ewig hält und man damit über anderen Menschen steht. Es gibt bestimmt einige Influencer, die beim Text kopfschüttelnd davoneilen würden, weil sie sich vor dem Tag fürchten, an dem ihr Trugbild zerbricht. Auch für "Vanitas Vanitatum" haben Reliquiae wieder ein episches Klangbild erschaffen. "10000 Jahre" ruhelos auf dem Meer zu verbringen, gepeinigt von Schuld und getrieben vom Wahnsinn ist wahrlich keine schöne Vorstellung. Nicht nur im Text wird die Geschichte erzählt. Die Instrumente übernehmen dies auch in einem instrumentalen Intermezzo, bei dem man die Hilflosigkeit, der See und ihren Launen ausgeliefert zu sein, spüren kann. Ganz großes Klangkino! Damit man nicht zu sehr in dieser düsteren Welt gefangen bleibt, folgt mit "Frei" der musikalische Befreiungsschlag, den man sehr schnell laut mitsingt. Bei allen Dingen, die sich auch heute noch wie Ketten anfühlen, ist es eine Wohltat das Lied laut aufzudrehen und die Sorgen und Pflichten einfach mal zu vergessen. Bei dem Tempo, das "Frei" vorgibt, ist stillsitzen und einfach nur zuhören aber auch völlig fehl am Platz. Mit "Wir sind das Ende" hat man auch tatsächlich das Ende des Albums erreicht. Doch auch zum Schluss gehen Reliquiae nicht vom Gaspedal und entfesseln in dieser Hymne die vier Reiter der Apokalypse, die sich auf die Welt stürzen und sie beenden wollen. Unser Glück ist es, dass es nicht unsere Welt ist, die zerstört werden soll, denn so kann man "Paranoia" direkt wieder anhören, wenn die letzten Klänge verstummt sind. Wie schon erwähnt haben sich Reliquiae für ihr 15-jähriges Bandjubiläum erneut mit Simon Michael zusammengetan, der als Drummer bei Subway to Sally tätig ist und als Produzent mit Bands wie Feuerschwanz, Letzte Instanz, Harpyie und Oomph! zusammengearbeitet hat. Seine Erfahrung und sein Gespür für die richtige Abmischung von traditonellen und modernen Instrumenten hat auch bei "Paranoia" für ein episches Ergebnis gesorgt. Am Sound gibt es nichts zu meckern und selbst wenn man sich das Album mehrfach angehört hat, gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Für das Artwork haben sie sich Thomas Ewerhard an Bord geholt, der unter anderem Artworks für Avantasia und Amon Amarth designt hat. Die handschriftlichen Lyrics im Booklet sind Fluch und Segen zugleich. Sie sehen beeindruckend aus und vermitteln ein Gefühl von Wahnsinn, was jedoch auf Kosten der Lesbarkeit geht. Die Texte sind in verschiedenen Formen und auch nicht immer in einer direkten Abfolge geschrieben worden. Wer die Texte lernen mag, sollte sie als Unterstützung sehen, nicht als eine einfache Quelle. Zusammen mit dem Artwork und den Bandfotos im Booklet ergibt sich dann allerdings ein stimmiges Gesamtbild, was die Kritik an der Darstellung etwas relativiert. Die Spieldauer von knapp 46 Minuten erscheint sehr ordentlich, es fühlt sich aber deutlich kürzer an. Mein Fazit: Reliquiae haben verstanden, wie man das eigene 15-jährige Bestehen richtig feiert. Man bringt ein Album raus, das auch über die Mittelalterszene hinaus HörerInnen finden wird. Reliquiae haben sich schon immer durch ihren eigenen Sound von vielen anderen Bands hervorgehoben. Wenn man "Paranoia" mit den aktuellen Veröffentlichungen der Szenekollegen vergleicht, gibt es nur wenige, die auf dem selben Niveau abliefern. Erfrischend ist auch, dass hier nicht der Weg eines Best of - Albums gegangen wurde, denn davon gibt es auf dem Markt genug und abgesehen von eventuellen Neuaufnahmen wäre das halt doch nur aufgebackene Ware. Wer Reliquiae noch nicht kennt und sich nicht sicher ist, ob das Album etwas für einen ist, sollte sich auf dem YouTube Kanal (Verlinkung weiter oben) einfach mal die aktuellen Videos ansehen. Ansonsten emfehle ich "Schwarzes Kleid". "Mephistoteles", "Leere & Chaos" und "Frei" als erste Hörproben. Wer Mittelalterrock mit eingängigen Melodien und tiefgründigen Texten mag, der darf meiner Meinung nach bedenkenlos zugreifen, vielleicht ja auch bei der wirklich guten Fanbox, wenn man etwas besonderes haben möchte. ![]() |