Vorband - Manchmal verspeist du den Bären, manchmal verspeist dich der Bär (2022)
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[Bild: vorband.jpg]


Release: 12. Oktober 2022
Label: pretty noice records


Tracklist:
01. Berufsverbot (Video)
02. Ein Leben
03. Dass es anders wird
04. Wie Marcus gesagt hat (Video)
05. Ein Vogel sang
06. JHvB
07. Mein Gott
08. Hannover
09. W.W.F.
10. Aragorn (Video)
11. Ist das alles?
12. Zwei Hunde (Video)
13. Danke, nein (Video)


Was passiert, wenn man den Wohlfühl-Indie hinter sich lässt und auf der anderen Seite wieder herauskommt? Manchmal verspeist du den Bären, manchmal verspeist dich der Bär von Vorband beantwortet diese Frage mit einem lachenden, einem weinenden und einem blauen Auge. Aber vor allem mit einem trotzig-traurigen: „Muss ja.“ Mit großer Bandbesetzung – und Gastmusiker*innen unter anderem aus Los Angeles und New York, gefeatured werden der Rapper Ivoree und der Schauspieler und Hasenscheisse-Gitarrist Christian Näthe – thematisiert Spieß Rassismus, Unrecht und immer wieder seine eigene psychische Erkrankung. Und er singt davon, wie schwer es ist, unter der Last der Welt weiterzumachen. So auch in Wie Marcus gesagt hat, dem ersten Song, den Spieß nach seinem Klinikaufenthalt 2019 für sein neues Album schrieb. „Die Krankheit ist Teil von mir, dann muss sie auch Teil meiner künstlerischen Arbeit sein“, sagt Spieß. Zum Glück gibt es, wie ein erleichternder Seufzer zwischendrin, auch den einen oder anderen Song über Freundschaft und Leichtigkeit, beispielsweise wenn es in JHvB auf Roadtrip mit Freund*innen geht. (Quelle: pretty noice records)


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Vorband sind:
Martin Spieß: Gesang & Gitarre
Adam Alesi: Drums
Chris Bonner: Bass
Geret Luhr: E-Gitarren
Ray Fox: Saxofon
Tini Rauscher: Background Vocals
Gastmusiker:
Bob Gaulke: Gesang (Hannover)
Ivoree: Rap (Berufsverbot)
Christian Näthe von Hasenscheisse: Gesang (W.W.F.)


Fünf Jahre und ein erfolgreich abgeschlossenes Crowdfunding sind seit dem letzten Vorband Album vergangen. Dazwischen liegt nicht nur die Pandemie, die uns allen das Leben schwer macht, sondern auch eine psychische Erkrankung, die dem Album eine lange Wartezeit vorausgeschickt haben. Martin Spieß geht offen und sehr direkt mit dieser Erkrankung um und hat sie in mehreren Liedern thematisiert. Bei "Wie Marcus gesagt hat" geht es sogar nicht nur um Depressionen, sondern auch um Suizid. An dieser Stelle möchte ich Martin selbst zitieren: "Wenn es euch nicht gut geht und/oder ihr Suizidgedanken habt: Meldet euch bei der Telefonseelsorge, die 24/7 kostenlos und anonym unter 0800/1110111 und 0800/1110222 zu erreichen ist". So steht es unter dem Video zum Song und man kann nicht oft genug darauf hinweisen. In "Aragorn" geht es um das kinderlose Künstlerleben, das Martin Spieß führt. Es ist keine Klage, sondern eine Art Liebeserklärung an diesen Zustand und auch ans mittlerweile geschlossene Elisen-Eck in Hannover. "Ein Leben" ist eines der Lieder, bei dem durch die Musik sofort denkt, dass ein fröhlicher Song ansteht. Der Text macht allerdings nachdenklich und die Aussage "Manchmal endet ein Leben in ein paar Fotoalben im Altpapier", trifft mitten ins Herz. Die drei Features sind sehr gut eingesetzt worden und wirken teilweise wie ein Blick von außen. Dabei sind sie selbst Teil dieser Geschichten, die so einen besonderen Klang verliehen bekommen. Beim Klang muss man auch automatisch ein großes Lob an die Band ausrichten. Besonders positiv ist mir dabei Geret Luhr aufgefallen. Geret Luhr spielt die E-Gitarre mal melodisch, mal rockig und dann auf einmal mit viel Blues im Sound. Seinem Gitarrenspiel zu lauschen macht einfach Spaß. Dass bedeutet natürlich nicht, dass die Bandkollegen einen schlechteren Job hinlegen. Ganz im Gegenteil. Durch den Zusammenklang aller Musiker'innen ist das Album großartig geworden. Wer, wie Martin es selbst sagt, einen "Blick über den Tellerrand der Indie-Wohlfühlmarke" wagen möchte, sollte keine Angst davor haben und sich das Album nicht entgehen lassen.

Mein Fazit: "Manchmal verspeist du den Bären, manchmal verspeist dich der Bär" ist ein Album, in das man beim Anhören hineinwächst. Anfangs wirkt die melancholische, teils zynische Art des Albums etwas merkwürdig. Gerade in der momentanen Situation, in der wir uns alle befinden, möchte man doch lieber etwas fröhliches hören. Allerdings hat Martin ein Rezept herausgefunden, die das Album genau in Waage zwischen schwierigen Themen und wunderschönen Melodien hält. Bewundernswert sind die Ehrlichkeit und Offenheit, die in den Texten stecken. Kein gespieltes "Hurra", sondern Ansichten, Erlebnisse und Gefühle, die direkt aus Martins Leben stammen. Gleichzeitig erkennt man, dass es viele Dinge gibt, die man zur Zeit selbst fühlt und durchmacht. Die emotionale Bindung zum Album wird dadurch schnell sehr eng und es fühlt sich an, als wenn man einem guten Freund zuhört, mit dem man einiges gemeinsam erlebt hat. Zum Glück ebenfalls einige leichte Momente, die es auch auf das Album geschafft haben. "Manchmal verspeist du den Bären, manchmal verspeist dich der Bär" ist kein alltägliches Album, aber Martin ist auch kein alltäglicher Musiker. Wer sich auf die Texte einlassen kann und sehr guten Liedermacher Indie-Rock liebt, sollte sich das Album auf jeden Fall anhören. Meine Anspieltipps sind "W.W.F.", "JHvB", "Ein Leben" und "Aragorn".

[Bild: bewertung4_5.png]
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